Glück auf Umwegen
Nach einer völlig komplikationslosen und einfachen Schwangerschaft wachte ich freitags in der 31. SSW (30+4) mit feuchtem Slip auf. In Gedanken, dass es auch einfach nur ein Tritt auf die Blase gewesen sein könnte, schlief ich kurze Zeit später weiter. Doch beim nächsten Toilettengang lief etwas Flüssigkeit hinterher und ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Nach kurzer Absprache mit meinem Mann griff ich zum Hörer und rief in der Klinik an, die mich dann gleich einbestellte. Mit frischen Kleidern und Handtuch im Gepäck fuhr ich los.
Nach erstem CTG und einer Untersuchung war die Diagnose klar: Blasensprung. Dann ging alles ziemlich schnell. Ein kurzes Telefonat mit meinem Mann um die Lage zu schildern und es ging los. Ich bekam Antibiotika gegen eine mögliche Infektion, Wehenhemmer damit die Geburt noch etwas rausgezögert werden konnte und eine Lungenreifespritze – von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Parallel wurde mir mehrfach Blut abgenommen, um die Entzündungswerte zu kontrollieren. Außerdem wurden regelmäßig CTGs geschrieben und Ultraschalluntersuchungen gemacht. Die Ärzte machten mir klar, dass ich das Krankenhaus nun nicht mehr verlassen darf und ordneten mir Bettruhe an. Mit meinem Mann und meinen Eltern klärte ich noch schnell die Betreuung unseres zweijährigen Sohnes. 24 Stunden später bekam ich die zweite Lungenreifespritze. Das wichtigste für die Ärzte war, unsere Tochter mindestens weitere 24 Stunden im Bauch zu lassen, damit diese Spritze ihre volle Wirkung abgeben kann, denn in Woche 31 kann es sein, dass die Lunge des ungeborenen Kindes noch nicht ausgereift ist. Da ich jedoch die Wehenhemmer und das Antibiotika nicht so lange einnehmen durfte und man nicht wusste was passieren wird, wenn ich diese Mittel wieder absetze, wurde ich gleich nach den ersten 24 Stunden über eine Kaiserschnitt-OP (wg. Beckenendlage und Frühgeburt) aufgeklärt. Die OP wurde für Sonntag bereits angesetzt (freitags war der Blasensprung). Zahlreiche Gedanken gingen mir und meinem Mann durch den Kopf. Wie wird es unserer Tochter gehen? Was wiegt sie? Kann sie selbstständig atmen? Welche Folgen hat die mögliche Frühgeburt? Doch die Frauen- und Kinderärzte beruhigten uns so gut es ging und klärten uns umfangreich auf.
Sonntagmorgens, ich im OP-Hemd und mit meinem Mann an meiner Seite, kam dann das Ärzteteam und teilte uns mit, dass alle Blutwerte in Ordnung seien, keine Wehen zu erkennen wären und genug Fruchtwasser noch vorhanden sei. Somit entschieden sich die Ärzte abzuwarten. Erleichterung kam bei uns auf. Allerdings musste ich weiterhin im Krankenhaus bleiben und Bettruhe halten (Toilettengang und ab und zu duschen war in Ordnung). Täglich wurde mir mehrfach Blut abgenommen und CTGs geschrieben. Da nach drei Tagen immer noch alle Werte in Ordnung waren, zeigten sich die Ärzte zuversichtlich, dass wir die Geburt noch etwas länger rauszögern könnten als anfangs gedacht. Also lies ich mich auf diese nicht einfache Situation ein und machte das Beste daraus. Schwer zu verstehen war für mich, dass es dem Baby gut gehen kann, auch wenn täglich mehrfach Fruchtwasser entwich. Dass Fruchtwasser nachgebildet wird und auch eine geringe Menge einem Baby in gewissen Situationen ausreicht, habe ich dadurch gelernt. Ziel war es die Geburt bis zur 35. SSW hinauszuzögern und so setzte man recht schnell den Entbindungstermin auf Dienstag in Woche 34 +1 fest. Viel länger wollte man nicht warten, da das Fruchtwasser doch immer weniger wurde und das Risiko einer Infektion nicht weniger wurde. Zahlreiche Telefonate und mehrfach täglicher Besuch von Familie und Freunden sowie die Gewissheit, dass jeder Tag im Bauch unserem Baby in der Entwicklung helfen werde, machten die lange Krankenhauszeit erträglich. Je näher der Entbindungstermin rückte, desto größer wurde aber auch die Vorfreude darauf, die Situation endlich überstanden zu haben.
Nachdem ich erneut über den Ablauf der OP aufgeklärt wurde und alles privat geklärt war, wie auch unser Großer in den nächsten Tagen versorgt sein wird, kam der Schock am Abend vor dem Entbindungstermin: die OP musste abgesagt werden wegen überfüllter Kinderklinik. Da man in Woche 35 auf jeden Fall zum Check in die Kinderklinik muss, meine Werte noch in Ordnung waren und etwas Fruchtwasser vorhanden war, konnten sie die OP nicht durchführen. Die Ärzte teilten mir mit, dass auch in den nächsten Tagen keine Besserung bzgl. der überfüllten Kinderklinik in Sicht sei. Eine kleine Welt brach für uns zusammen, denn wir hatten so auf den Termin hin gefiebert und mein Bauchgefühl sagte mir auch, dass es nun Zeit wird unsere Tochter auf die Welt zu holen. Mittwochs wurde eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus in den Raum gestellt und mit mir abgestimmt. Nach kurzen Telefonaten wurde ich mittags gleich noch in eine andere Klinik mit freien Betten in der Neugeborenen-Abteilung verlegt. In der neuen Klinik mit dem Krankentransport angekommen, standen wieder zahlreiche Tests an, inkl. Blutabnahme und CTG. Man entschied sich am nächsten Tag unsere Tochter per Kaiserschnitt zu holen, um die OP in Ruhe morgens durchführen zu können. Und diesmal lief alles wie geplant.
Das schönste Erlebnis war, dass ich unsere Tochter noch während der OP auf die Brust gelegt bekommen habe und uns dann schnell klar war, dass es ihr gut geht und sie selbstständig atmen konnte. Mit 2500 Gramm und 49 Zentimetern hatte sie als Frühchen dann doch ganz ordentliche Maße. Die Entscheidung mich zu verlegen und nicht länger mit der Entbindung zu warten erwies sich als richtig, denn das Fruchtwasser war tatsächlich fast ganz weg und es war nicht ganz so einfach, unsere Tochter bei der OP aus dem Bauch zu holen. 12 Tage blieb sie in der Kinderklinik in einem Wärmebett, wo die Werte überwacht wurden. Sie lernte ihre Temperatur selbstständig zu halten und nach einer anfänglichen Magensonde begann sie auch zügig selbstständig zu trinken. Auch ihre Gelbsucht musste mehrfach behandelt werden. Ich verbrachte die ersten Tage in der Klinik und pendelte anschließend täglich zu ihr von zu Hause ins Krankenhaus. Das erste Mal die Klinik (nach über 4 Wochen) ohne Baby zu verlassen war sehr emotional. Als die Entlassung absehbar war, blieb ich noch zwei Nächte dort auf der Eltern-/ Kindstation. Da mir das Stillen sehr wichtig war, begann ich gleich am Entbindungstermin damit, alle 3 – 4 Stunden abzupumpen, da sie noch zu schwach war direkt von der Brust zu trinken. Auch während der Pendelzeit pumpte ich dauernd ab und brachte die Nahrung in die Klinik. Nach 12 Tagen durfte sie endlich nach Hause. Beim Kinderarzt wurde der Billiwert dann noch zwei Mal kontrolliert. Als sie ihr Geburtsgewicht wieder erreicht hatte, das Stillen ohne Probleme klappte und sie dann auch noch mehr zunahm als sie „musste“, waren wir endgültig erleichtert und hatten mit dem Thema „Frühchen“ dann doch schneller als gedacht abgeschlossen. Wenn ich jetzt unsere Tochter mit gleichaltrigen Babys in der Gruppe sehe oder unser älterer Sohn sie mit sich in der Spielecke haben möchte, vergesse ich beinahe, welchen aufregenden Start wir zusammen hatten. Wir sind überglücklich, dass sie keinerlei gesundheitlichen Beeinträchtigungen von ihrer früheren Geburt zu tragen hat.